Sven Haupt

Sven Haupt wurde 1976 in Bonn geboren. Er hat eigentlich Biologie studiert und 2008 in kognitiver Hirnforschung promoviert. Da einem dafür aber niemand Geld gibt, arbeitet er stattdessen als IT-Experte für ein Software-Unternehmen. Seit seiner Jugend schreibt er Blogs, Lyrik und Kurzgeschichten. 2016 beschloss er in Zukunft auch an Literatur-Ausschreibungen teilzunehmen und seine Texte tatsächlich zu publizieren. Webseite des Autors: elektrischerengel.com

Sven Haupt über sich selbst

“Reality is that which, when you stop believing in it, doesn’t go away.” – Philip K. Dick

So lange ich denken kann, bin ich Raumschiffe geflogen. Erst aus Lego, später aus Papier. Die aus Papier sind schwerer zu lenken, aber als ich als kleiner Junge ganz unten im Bücherregal eine zerfledderte Kurzgeschichtensammlung meines Vaters aus dem Staub zog, gehörte meine Liebe augenblicklich der Science Fiction. Kaum begann ich ernsthaft zu lesen, prägten mich die Geschichten von Isaac Asimov und die Romane von Arthur C. Clarke. Ich wuchs mit den Abenteuern der klassischen Enterprise auf, Animes voller Star Sheriffs und Galaxy Rangers im Samstagmorgen-Frühprogramm. Als grottenschlechter Schüler saß ich im Unterricht und träumte vom Weltraum.

Interessanterweise haben die Raumschiffe mich nie in große Schlachten geflogen. Sie brachten mich immer nur zu neuen Planeten, fremden Rassen und vielen neuen Fragen. Wenn mein Leben und mein Bewusstsein schon so seltsam war, wie wäre es erst auf einer anderen Welt, fragte ich mich und trug eine weitere fünf in Mathe nach Hause. Wenn wir den Inhalt unserer eigenen Spiegel schon nicht verstehen, was machen wir dann, wenn wir den Weg zu unzähligen anderen Spiegeln finden?

Wer soll solche Fragen beantworten können? Eine Weile lang dachte ich, ich könnte die Wissenschaft fragen.
Leider musste ich lernen, dass man dort keine Antworten bekommt, sondern nur neue Fragen. Zur Sicherheit habe ich Biologie mit Schwerpunkt Neurowissenschaften studiert und danach in kognitiver Hirnforschung promoviert, aber die Suche blieb erfolglos. Dafür wurden die Fragen viel schwerer und länger. Wenn es auch nur eine richtig schlaue Antwort gegeben hätte, wäre ich ihr wohl irgendwo begegnet. Also zurück aufs Raumschiff.
Vielleicht kann die Literatur alle Fragen beantworten. Literatur muss keine Publikationen schreiben. Ich kann völlig neue Wege gehen. Wege, die vorher niemand gefunden hat. Das steht auch zu erwarten, immerhin habe ich ein Raumschiff. Literatur muss sich auch nicht schämen, wenn sie Religion und Philosophie mit an Bord holt.

Heute fliegt mein Raumschiff noch immer nicht durch Schlachten. Es gibt keine Explosionen, keinen Horror und keine Gewalt. Ich nehme jeden willigen Leser an Bord, allerdings muss er viele Fragen aushalten können. Das ist zugegebenermaßen hart, aber es gibt eine einfache Lösung. Er schickt einfach sein inneres Kind. Keine Sorge, wer an Bord ist, ist sicher. Deswegen steht auf dem Cover meines ersten Buches ‚Der elektrische Engel‘ ein kleines Kind. Es ist Versprechen und Betriebsanleitung zu gleichen Teilen.
Es ist das Kind, welches all die Fragen hat, die wir niemals beantworten können. Das zu den Sternen aufsieht und sprachlos erstarrt angesichts der Wunder, die es dort sieht. Wenn der Traum vorbei ist (oder der Gong das Ende der Schulstunde verkündet), kann das Kind wieder in sein Bett zurückkehren, ohne Albträume fürchten zu müssen. Lediglich das Einschlafen ist nicht garantiert, denn der Kopf ist ja voller Fragen.

Wenn sich alle Sinne ändern, ändert sich dann auch das Bewusstsein? Wenn sich das Bewusstsein ändert, ändert sich dadurch die Realität gleich mit? Was ist das, was wir Wirklichkeit nennen? Ist unsere Realität verhandelbar? Wenn ich ein Bewusstsein treffe, das meines perfekt imitiert, ist es dann ich? Es wird noch besser: Es scheint, als wäre die Welt vor unseren Augen hauptsächlich irreal und fake. Die hinter unseren Augen übrigens auch. Denkt man zu lange drüber nach, wird das Ganze ein wenig peinlich. Was ist denn am Ende des Tages noch real? Wie viel Irreales muss ich stapeln, damit es am Ende real wird? Wie lange muss ich es schubsen, bis es sich umdreht, mich ansieht und fragt: „Warum?“

Ein Raumschiff voller Fragen ist voller Konflikte. Meine Konflikte finden aber im Kopf statt, sie sind meinst psychologischer Natur. Sie entstehen dort, wo wir nicht mehr verstehen, wie wir mit der Welt umgehen sollen, weil sie ständig die Grenzen verändert, die wir bis eben noch für fundamental gehalten haben.
Faire Warnung: Wer am Ende wieder in seinem Bett sitzt, wird wahrscheinlich mehr Fragen haben als zu Beginn und ich lasse ihn gerne damit alleine. Warum soll es dem Leser besser gehen als mir?

Meine Hoffnung ist, dass der Leser die fremden Welten mit einem anderen Denken verlässt, als er sie betreten hat. Er darf verblüfft, erstaunt und sogar erschüttert sein, wenn er möchte.
Eine perfekte Geschichte ist wie ein kleines spirituelles Erwachen, wie eine unerwartete, tiefe Einsicht. Sie erschüttert uns bis in die Grundfesten unserer festen Überzeugung und zwingt uns dazu, unser Weltbild zu erweitern, ob wir wollen oder nicht. Asimov konnte das. Deswegen ist er mein großes Vorbild. Er konnte lachend am Rande des Geschehens stehen, während wir uns nach der letzten Zeile stöhnend den Kopf hielten und fragten: „Wie hat er das jetzt gemacht?“

Die Herausforderung ist, mit besseren Fragen aus der Geschichte wieder herauszukommen, als man hineingegangen ist. Der Großmeister beherrschte dies wie kein Zweiter. Uns zu überraschen und zu verblüffen. Die vollständige Absurdität des Universums in dem wir leben aufzunehmen, und uns einen Spiegel dabei vorzuhalten, wie wir mit dummen Augen starren, weil wir nicht wissen, wie wir mit dem Gesehenen umgehen sollen. Diese Verblüffung suche ich mit meinem Raumschiff. Keine Sorge, wir sind zurück, bevor die Schule um ist oder der Morgen anbricht. Eben waren wir noch in einer Hafenkneipe im Orbit um einen Neutronenstern oder im Grunde eines gefrorenen Ammoniaksees. Gleich sind wir wieder zuhause. Wenn am Ende ein kleines Kind aus dem Raumschiff klettert und fragt: „Warum?“, dann bin ich zufrieden.